Journal

Acceptance Speech for the Konrad Adenauer Prize

Madam Mayor,

Ladies and Gentlemen,

I am very grateful to accept the Konrad Adenauer Prize today.

In 1953, when Konrad Adenauer had been the first post-war Chancellor of post-war Germany for only four years, the great conductor Wilhelm Furtwängler invited me – then eleven years old – to Berlin. At the time, my father refused this invitation: the end of the war and thus the Nazi regime’s terror had not even been over for ten years, and to him, it was too early for us, a Jewish family, to travel to Germany. Later, of course, I performed in Germany, and when I became General Music Director of the State Opera Unter den Linden and the Staatskapelle Berlin in 1992, I moved to Berlin with my family. At that time, it was only possible for me, a Jew, to settle in Germany because both German politicians and the majority of German citizens had studied their Nazi past and had made efforts to come to terms with it – insofar as that is ever possible.

Although denazification during the Adenauer era was not implemented in all its consequences, both with his personal biography and his political actions, Konrad Adenauer stands for a new Germany, anchored in Europe, and for the reconciliation of Germans with the Jewish people. Adenauer himself did much for reconciliation with the Jews: after diplomatic relations were established with Israel in 1965, he became the first high-ranking German politician to travel to Israel after World War II. Furthermore, he was unequivocal in his analysis of the responsibility of the Germans. As early as 1946 he wrote in a letter:

“In my opinion, the German people as well as the bishops and clergy bear great guilt for the events in the concentration camps. It is perhaps true that afterwards there was little to be done. The guilt lies earlier. The German people, including a great part of the bishops and clergy, accepted National Socialist agitation. It allowed itself to be brought into line almost without resistance, indeed in part with enthusiasm. Therein lies its guilt.”

I am quoting from this letter today because after almost 30 years in this country, I live in Germany with great concern. Today, there is a highly dangerous new anti-Semitism in Germany, and reactions to this fact, both in society and politics, are far too weak. In the early 1990s I would not have believed that anti-Semitism and xenophobia, glorification of the Nazi past and an aggressive, racial nationalism could become socially acceptable again in Germany in 2019. What is happening every day in Germany cannot be brushed away as “alarm signals”; it is far too late for those. We must condemn and countermand anti-Semitism and xenophobia roundly and jointly, every day. For there are many aspects of German culture I value greatly: literature, music and philosophy, for example. Nazism, however, does not represent the human values this German culture is founded upon. Nazism is inhuman.

Before I end, permit me to say a few words on another subject which fills me with concern: in Israel, it is currently unclear how the next government will be formed. No matter how the new government turns out, however, Israelis must finally understand that their own security is inextricably linked to justice for the Palestinian people, which is so urgently needed. There can only be true and lasting peace if the unjust occupation of the Palestinian territories finally ends. This is an issue Germany must also stand up for, as it has a responsibility towards the Jewish people, both here and there. It may seem difficult, or even irresolvable. But as Adenauer said: “Any great achievement, ladies and gentlemen, involves great risk.”

Thank you.


Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,

sehr geehrte Damen und Herren,

Ich bin sehr dankbar, heute den Konrad-Adenauer-Preis entgegennehmen zu dürfen.

1953, als Konrad Adenauer gerade vier Jahre erster Bundeskanzler in Nachkriegsdeutschland war, lud mich – damals 11-jährig – der große Dirigent Wilhelm Furtwängler nach Berlin ein. Mein Vater lehnte diese Einladung damals ab: das Kriegsende und damit die Schreckenszeit des NS-Regimes lagen noch keine zehn Jahre zurück und es war ihm für uns, als jüdische Familie, zu früh, nach Deutschland zu reisen. Später trat ich dann natürlich in Deutschland auf und als ich 1992 Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden und der Staatskapelle Berlin wurde, zog ich mit meiner Familie nach Berlin. Ich konnte mich als Jude in Deutschland damals nur niederlassen, weil sich sowohl die deutsche Politik als auch die Mehrheit der deutschen Bevölkerung mit der Nazi-Vergangenheit auseinandergesetzt und diese – soweit überhaupt möglich – aufgearbeitet hatten.

Obwohl die Entnazifizierung in der Ära Adenauer nicht in letzter Konsequenz umgesetzt wurde, so steht Konrad Adenauer sowohl mit seiner persönlichen Biographie als auch mit seinem politischen Handeln für ein neues Deutschland, verankert in Europa, und für die Aussöhnung der Deutschen mit dem jüdischen Volk. Adenauer selbst bemühte sich tatkräftig um die Versöhnung mit den Juden: Nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel 1965 reiste er im folgenden Jahr als erster hochrangiger deutscher Politiker nach dem Zweiten Weltkrieg nach Israel. Er war auch eindeutig in seiner Analyse der Verantwortung der Deutschen. Schon 1946 schrieb er in einem Brief:

„Nach meiner Meinung trägt das deutsche Volk und tragen auch die Bischöfe und der Klerus eine große Schuld an den Vorgängen in den Konzentrationslagern. Richtig ist, daß nachher vielleicht nicht viel mehr zu machen war. Die Schuld liegt früher. Das deutsche Volk, auch Bischöfe und Klerus zum großen Teil, sind auf die nationalsozialistische Agitation eingegangen. Es hat sich fast widerstandslos, ja zum Teil mit Begeisterung gleichschalten lassen. Darin liegt seine Schuld.“

Ich zitiere heute aus diesem Brief, weil ich nach fast 30 Jahren in diesem Land wieder voll Sorge in Deutschland lebe. Es gibt heute einen hoch-gefährlichen neuen Antisemitismus in Deutschland und die Reaktionen darauf, sowohl gesellschaftlich als auch politisch, sind längst nicht stark genug. Ich hätte Anfang der 90er Jahre nicht geglaubt, dass Antisemitismus und Fremdenhass, die Verherrlichung der Nazi-Vergangenheit und ein aggressiver, völkischer Nationalismus 2019 in Deutschland wieder salonfähig sein würden. Was täglich in Deutschland geschieht sind keine „Alarmzeichen“, für diese ist es längst zu spät. Wir müssen Antisemitismus und Fremdenhass geschlossen und entschieden entgegentreten, jeden Tag. Denn es gibt viele Aspekte der deutschen Kultur, die ich sehr schätze: Literatur, Musik und Philosophie zum Beispiel. Nazismus aber repräsentiert die menschlichen Werte, die dieser deutschen Kultur zugrunde liegen, nicht. Nazismus ist unmenschlich.

Lassen Sie mich zum Abschluss noch einige Worte zu einem anderen Thema sagen, das mich mit Sorge erfüllt: in Israel hängt die Regierungsbildung derzeit in der Schwebe. Egal, wie die neue Regierung aussieht müssen die Israelis endlich verstehen, dass ihre eigene Sicherheit untrennbar mit dringend nötiger Gerechtigkeit für das palästinensische Volk verbunden ist. Es kann wirklichen, dauerhaften Frieden nur dann geben, wenn die unrechtmäßige Okkupation der palästinensischen Gebiete endlich endet. Auch dafür muss sich Deutschland einsetzen, denn es hat eine Verantwortung gegenüber dem jüdischen Volk, hier wie dort. Es mag schwierig, gar unlösbar erscheinen. Aber wie sagte Adenauer: „Alles Große, meine Damen und Herren, ist ein Wagnis.“

Vielen Dank.