Journal

Dankesrede für die Moses Mendelssohn medaille

Was Moses Mendelssohn vor über 150 Jahren schon verstand, müssen wir heute erneut lernen: je mehr man seinen Gegner versteht und respektiert, desto mehr kann man ihn akzeptieren, und von ihm akzeptiert werden.

Tags:

Es ist eine große und besondere Ehre für mich, heute die Moses-Mendelssohn-Medaille in Empfang zu nehmen. Moses Mendelssohn steht für einen jüdisch geprägten Universalismus, dessen Ideen mir sehr nahestehen.

Zu seinen Lebzeiten war die Integration einer Minderheit in Deutschland, damals der Juden, schon ein heiß umstrittenes Thema. Mendelssohn spielte dabei eine Schlüsselrolle nicht zuletzt dadurch, daß er gemeinsam mit dem Dichter Naphtali Wessely Teile der Bibel in die deutsche Sprache übersetzte. Er stellte sich ein offeneres, weltgewandtes Judentum als Voraussetzung zur jüdischen Emanzipation vor, und dieses war nur durch Bildung und Toleranz zu erreichen.

Mendelssohns Beteiligung an der Haskala-Bewegung (der jüdischen Aufklärung) führte dazu, daß in jüdischen Schulen nicht nur der Talmud und die Tora gelehrt wurden, sondern auch noch Fächer wie Mathematik, Weltgeschichte, Literatur, und Deutsch.

Für Mendelssohn waren Religion und Vernunft keine Widersprüche, sondern ihm schien das Judentum vielmehr ein Ausdruck universeller Vernunft zu sein. Ihm war das Judentum nur eine von vielen Erscheinungsformen der “Religion der Vernunft.” Er plädierte für Reformen innerhalb seiner Religion, weswegen er der „jüdische Luther” genannt wird, und als Philosoph und Literaturkritiker schrieb er über die Werke so diverser Denker wie Spinoza, Locke, Maimonides, Wolff, Homer, Aesop und Rousseau.

Im 18. Jahrhundert machte sich Moses Mendelssohn Sorgen um das Allgemeinwohl seines Volks. Das jüdische Volk lebte noch in der Diaspora, und Integration und Toleranz waren überlebenswichtige Prinzipien. Heute im 21. Jahrhundert hat das jüdische Volk einen eigenen Staat, und es macht sich Sorgen um seine Sicherheit. Leider stehen heute Integration und Toleranz nicht mehr an der Tagesordnung in Israel, schon gar nicht, wenn es darum geht, die Sicherheit seines Volks zu garantieren. Seit 60 Jahren versucht Israel durch Militärmacht ein trügerisches Gefühl von Sicherheit zu erzeugen, und seit 60 Jahren hinterließ jeder militärische Sieg Israel sowohl moralisch wie auch politisch geschwächt.

Der Konflikt im Nahen Osten ist nicht politischer Natur. Es handelt sich um einen menschlichen Konflikt zweier Völker, die zutiefst davon überzeugt sind, das Recht zu haben, auf demselben Land zu leben. Es nützt nichts, die Frage zu stellen, wer diesen Konflikt anfing, und wann. Von Nutzen ist es, zu fragen, wer mit dem entscheidenden Schritt den Konflikt beenden wird. Um sein eigenes Überleben, geschweige eine gesunde Zukunft zu sichern, müsste selbstverständlich Israel diesen Schritt machen, und die Welt müsste Israel dabei helfen.

Ich appelliere an die mächtigen Nationen der Welt, eine Art Marshall Plan zu entwerfen, um den Gaza-Streifen wieder aufzubauen, und um die Lebensqualität der Palästinenser im Westjordanland zu verbessern. Wir dürfen nicht vergessen, das 55% aller Palästinenser im Gazastreifen unter 16 Jahre alt sind, und 85% im gesamten palästinensichen Gebiet unter 33 Jahre alt. Aus diesem Grund müsste die Bildung ein notwendiger und organischer Teil dieses Vorhabens werden. Wenn ich mir noch einen Wunsch erlauben könnte, dann würde ich mir wünschen, daß Deutschland nicht trotz, sondern gerade wegen seiner schwierigen Geschichte eine führende Position bei dieser Gemeinschaftsaktion übernehmen würde. In diesem Fall müsste Deutschland lernen, mit seinen Schuldgefühlen anders umzugehen, denn Wiedergutmachung kann nur auf eine Art funktionieren: Deutschland müßte dem jüdischen Volk helfen, mit den Palästinensern zurechtzukommen. Die einzige Lösung des Nahost- Konflikts ist die gegenseitige Akzeptanz beider Parteien. Dies muß das Ende der israelischen Besetzung, den Abbau der illegalen Siedlungen auf palästinensischem Land und das Ende aller Gewalt bedeuten. Es bedeutet aber auch, daß die Weltgemeinschaft dafür sorgen muss, daß alle Parteien innerhalb Israels und Palästinas zum Konsens gebracht werden, und, daß ein Dialog ohne Vorbedingungen eröffnet wird.

Was Moses Mendelssohn vor über 150 Jahren schon verstand, müssen wir heute erneut lernen: je mehr man seinen Gegner versteht und respektiert, desto mehr kann man ihn akzeptieren, und von ihm akzeptiert werden.